Die Zeit heilt – nicht. Also muss ICH was tun.

Wenn ich auf meinen rechten Daumen schaue, erinnern mich zwei kleine Narben an einen Fahrradunfall. Zum Glück ist nicht viel passiert. Schürfwunden, ein fetter Bluterguss am Knie, ein mittelgroßer Schrecken. Ob diese beiden Narben jemals wieder komplett verschwinden, fraglich. Irgendwann vielleicht, aber das ist mir auch völlig egal. Meine Beine zieren zig Narben von kleineren und größeren Stürzen, die meisten aus meiner Kindheit – und sie beeinträchtigen meine Lebensqualität kein bisschen. 

Doch was ist mit Narben auf der Seele? Speziell meine ich diese eine, die sich durch den Tod meiner geliebten Mama für immer eingebrannt hat. Ja, schon heute – neun Monate nachdem sie gestorben ist – kann ich sicher sagen, dass diese Narbe bleiben wird. „Mit Narben kann man dennoch gut leben“, hat meine Psychologin einmal gesagt. Ein wertvoller Satz, der mir ein bisschen Hoffnung gibt. 

Neun Monate – das ist eine lange Zeit. Neun Monate – das fühlt sich nach gerade erst gestern an. Mal empfinde ich so, mal so. Mal so, mal so ist überhaupt die Beschreibung meiner Gefühlslage. Es gibt Tage, die sind okay, es gibt Tage die sind einfach, sorry, beschissen. So richtige gute Tage gab es noch nicht. Doch halt, stimmt nicht. Am 4. Juli bin ich in Bludenz einen Halbmarathon gelaufen und wurde überraschend – und in einer für mich super Zeit – dritte Frau. Es war so ein tolles und wertvolles Erlebnis, weil ich erstmals wieder einen richtigen Glücksmoment hatte. Für mein Laufen bin ich eh so sehr dankbar. 

Zieleinlauf beim Bludenz Halbmarathon // Fotocredit: Stefan Friedrich Mayr Photography

Zeit ist jedenfalls ein Faktor, auf den ich von Anfang an gesetzt habe. Denn “die Zeit heilt alle Wunden”, sagt man. Dass es „mit der Zeit besser wird“, dass es „einfach Zeit braucht“, bis ich den Tod meiner Mama verkraften kann. Was ich jedoch sagen kann: Die Zeit wird nicht heilen. Die Zeit kann überhaupt nicht heilen. Denn der Tod eines geliebten Menschen ist schließlich auch keine Verletzung. 

Manchmal empfinde ich den Schmerz sogar als noch schlimmer, je mehr Zeit vergeht. Denn anfangs hat nur der Verstand realisiert, was passiert ist. Mehr und mehr realisiert es aber auch das Herz. Und das tut weh. Unfassbar weh. Und immer wieder weiß ich nicht, wie ich es aushalten soll. 

Aber ich kämpfe. Denn schließlich habe ich nur zwei Optionen – weiterleben oder nicht. Und ich will nicht nur ganz klar weiterleben, sondern ebenfalls versuchen, es zu schaffen. Schaffen im Sinne von „irgendwie wieder ein bisschen glücklich zu werden“. Was mir hilft, ich erwähne es wieder und wieder, sind meine super Familie und viele tolle Menschen, mein Laufen, die Natur und Tiere. 

Was für mich wichtig ist: Ich versuche nicht mehr, diesen großen Schmerz loszuwerden – was sowieso nicht klappt – sondern ihn zu akzeptieren. Parallel versuche ich, mir möglichst viele gute Momente, Erlebnisse, Gefühle und auch Ziele zu schaffen, um diesen Schmerz einfach besser aushalten zu können. Um mit dieser Narbe bestmöglichst leben zu lernen. 

Ich glaube, das ist überhaupt ein ganz gutes „Lebensrezept“: Für alles, was man selber in der Hand hat und was man aktiv gestalten kann, sollte man die Verantwortung übernehmen. TUN anstatt nur abwarten, grübeln, hadern (was mir auch nicht immer oft nicht gelingt).

Doch es gibt halt leider auch einige Dinge, Erlebnissen etc., die man nicht beeinflussen oder verändern kann. Was man aber kann: Sich selbst so zu rüsten, um mit all diesen „unveränderbaren“ Dingen gut umzugehen. 

Und wie sieht dieses Rüsten aus?

So gerne würde ich jetzt Tipps und Anleitungen dazu geben, weiß es aber selber nicht. Jedoch versuche ich, genau das herauszufinden (und dann möchte ich das an andere Menschen weitergeben). Ich befasse mich z.B. sehr viel mit mir, meinen Wünschen, Träumen und Zielen. Es ist mir so wichtig, wieder eine Perspektive zu finden. Etwas, für das ich mit Leidenschaft kämpfen möchte, für das ich mich wieder begeistern kann.
Ich befasse mich genauso mit den Themen Tod und Trauer, da sie plötzlich so präsent wurden und zum Leben dazugehören.
Ich will herausfinden, wie ich meine berufliche Zukunft gestalten möchte – etwa habe ich mich schon entschieden, dass ich eine Fortbildung mache.
Zudem habe ich ein großes Ziel beim Laufen. Dafür trainiere ich nun wieder – seit Kurzem sogar mit Unterstützung durch einen tollen Coach.
Und ein Esel soll Teil meines Lebens werden. Ob ein eigener oder ob in Form einer Pflegebeteiligung – das Tier und ich werden uns bestimmt finden.

Wenn ich daran denke, wie ich unter drei Stunden einen Marathon finishe und danach „meinem“ Esel eine Karotte vorbeibringe, als Dankeschön fürs Hufedrücken, dann wird mir warm ums Herz und ich empfinde sowas wie ein Glücksgefühl. Trotz dieser riesengroßen Narbe auf meiner Seele.
Es lohnt sich also ganz bestimmt.  

Eine Antwort

  1. Robby sagt:

    Hat so viel Gewicht das von Dir erzählte. Trauriges natürlich nach dem Erlebten, aber es steckt soviel Ehrlichkeit und Tiefgründigkeit darin, nichts ist umschrieben oder beschönigt, sehr transparent und das prägt einen Mensch wie Dich

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