Südafrika im Rennradsattel – ein Abenteuer

Meine Finger krallen sich am Lenker fest, ich traue mich kaum zu atmen. Denn mit jeder Bewegung könnte es noch mehr wackeln – und ich fühle mich jetzt schon wie mit drei Promille. Denn es windet sehr stark, und die Räder meines fahrbaren Untersatzes sind dünner als ein halbes Streichholz. Ach wenn ich bloß meine Lisbeth dabei hätte… Doch mein 15 Jahres altes Damenfahrrad steht daheim in Deutschland. Ich hingegen, hocke in Südafrika auf einem Rennrad. Ja, so ein richtiges Rennrad mit „Holzsattel“, wie meine Mama zu sagen pflegte. Es ist mein erstes Mal auf dem Rennrad – und ich bin froh, dass ich mit meinen Laufschuhen radeln darf. Am Vorabend hatte ich einen Versuch mit Klickschuhen gestartet. Mein Begleiter entschied dann fürsorglich, dass die Klickschuhe und ich nicht zueinander passen.

Ausgangspunkt Camps Bay

Nun radle ich also, gerade haben wir Camps Bay verlassen. Gemeinsam mit ein paar Bike-Cracks gehe ich auf große Tour. Wohin genau die Herrschaften radeln wollen, keine Ahnung, ich kenne mich hier eh kaum aus. Außerdem solle ich erst einmal gucken, ob ich klar komme. Falls nicht, drehen wir um. Da aufgeben für mich eigentlich nie eine Option ist, will ich das schaffen. Eine Cycle-Tour in Südafrika, ich will sie unbedingt auf meiner Lebensliste stehen haben. Dafür muss ich mich zwingend mit dem Linksverkehr anfreunden. Permanent habe ich das Gefühl, ich sei auf der falschen Seite. Dazu bremsen, schalten, ich fühle mich ähnlich unbeholfen wie während meiner ersten Fahrstunde.

Es ist Sonntag-Morgen, noch vor 8 Uhr. Doch für die sportverrückten Südafrikaner scheint das eine Prime Time zu sein – Biker und Jogger zuhauf. Großartig! Richtig genießen kann ich meine Aktivität trotzdem nicht. Der Helm drückt total, andererseits bin ich heilfroh über diesen Schutz. Nach bereits 45 Minuten im steinharten Sattel bin ich noch extrem unlocker. Allerdings steht für mich fest, dass ich nicht umdrehen werde. Oh nein!

Wahnsinns-Kulisse!
Entlang des Chapman‘s Peak Drive

Es windet teilweise so stark, dass ich fast zum Stehen komme – im Schatten der Felswände ist es richtig kalt. Es geht nur bergauf und bergab, selten geradeaus. Ich bevorzuge die Anstiege, dank meiner recht passablen Kondition kann ich mit den anderen mithalten. Downhill falle ich dann wieder um Kilometer zurück. Während die anderen es richtig krachen lassen, bin ich nur am Bremsen. Jetzt erschließt sich mir der Sinn von Fahrradhandschuhen.

Langsam kann ich die Aussicht genießen. Es ist der Hammer, der Oberhammer! Südafrikas Natur, die Landschaften, das Meer, ich bin total fasziniert. Wir radeln über den Chapman‘s Peak Drive, eine rund neun Kilometer lange Küstenstraße, passieren Hout Bay, Noordhoek und Fish Hoek. Die Sonne brennt ungnädig vom Himmel, doch das macht mir nicht viel aus. Im Gegenteil, endlich ist mir warm. Aber mein Magen beschwert sich langsam. Bis auf einen Kaffee hatte ich noch kein Frühstück, selbiges wollen wir in einem Café in Kalk Bay zelebrieren. Dort soll es den weltbesten Schokokuchen geben.

Kalk Bay ist ein kleiner Ort am Wasser, an der False Bay. Einst ließen sich hier gestrandete Seeleute nieder, heute hat die Fischerei in Kalk Bay einen großen Stellenwert. Das Olympia Café and Deli ist relativ klein, alle Tische sind besetzt. Zum Glück müssen wir aber nicht lange warten und dürfen Platz nehmen. Wir bestellen eine köstliche Auswahl an Milchkaffee, Omlette, Brötchen, Joghurt mit frischen Erdbeeren und natürlich Schokokuchen. Mega! Die mindestens 5.000 Kalorien kratzen mich herzlich wenig, ich habe eh garantiert die Hälfte im Voraus verbrannt.

Frühstückspause
Kalks Bay

Der Rückweg ist noch bergiger. „You are okay?“, werde ich gefragt. Als ich nicke, biegen wir auch schon ab. Es geht nach oben, auf den Red Hill. Und Berge sind hier wirklich Berge. Keine Alibi-Hügel, nein. In sengender Hitze keuche ich den steilen, holprigen Weg hinauf. Meine Schaltung ist mir nach wie vor ein Rätsel. Im Stehen trete ich in die Pedale, nur nicht absteigen. Ich will das schaffen! Ich werde das schaffen!

Tatsächlich komme ich ohne Unterbrechung auf dem höchsten Punkt des Red Hills an. Yaiii, ich bin echt stolz! Wie wild knipse ich, die Aussicht ist einfach gigantisch. Höhenangst war mir nie fremder. Die folgende, nicht enden wollende Abfahrt gestaltet sich dann aber fast noch anstrengender. Gefühlt habe ich metertiefe Furchen in meinen Händen, Bremsen ist echt Hochleistungssport. Mitten in der Pampa kommen wir an einem Handwerksbetrieb vorbei, hier werden Holzfiguren hergestellt – unter anderem die legendären Holzgiraffen, und zwar in allen Größen.

Auf dem Red Hill angekommen
Für diese Aussicht hat es sich doppelt gelohnt.

Mittlerweile hocke ich in Summe fast vier Stunden auf meinem Bike. Die anfängliche Unsicherheit ist weg, ich habe mich an mein Fahrgestell gewöhnt. Mehr noch, mir macht es sogar richtig Spaß. Würde ich in Kapstadt wohnen, würde ich mir wohl ein Bike zulegen (mit Gelsattel- oder Schafswolle-Überzug!!!). Niemals toppt das Radeln mein Laufen, wäre aber ein toller Ergänzungssport. Denn ich spüre bereits jetzt Muskeln, von denen ich gar nicht wusste, dass sie existieren.

Ich habe, wie so oft am heutigen Tage, keinen Schimmer, wo wir uns befinden. Es gibt nur Berge, eine Straße, neben mir der Ozean. Plötzlich wird es neblig, trotz strahlend blauem Himmel. „Wir sind jetzt in Misty Cliffs“, sagt einer meiner Begleiter. Der kleine Küstenort ist bei Surfern total beliebt. Wer dort aufs Brett steigt, sollte aber Könner sein. Die Wellen sind enorm, die Gischt liegt wie ein Nebelschleier in der Luft – daher der Name Misty Cliffs, neblige Felsen.

Misty Cliffs
Und jetzt: Endspurt!

Die letzten Kilometer sind hart, und das ist nicht bloß wortwörtlich auf mein Sitzfleisch bezogen. Ich schwitze endlos, meine Hände zittern, ich kann nicht mehr. Es geht bergauf, bergab, immerhin weiß ich nun, wo wir sind. Nach Camps Bay ist es nicht mehr allzu weit. „Zwei Berge noch“, lautet die Info. Zudem bekomme ich den Hinweis, ich solle doch einen anderen Gang einlegen. „I can‘t do anything at the moment“, antworte ich erschöpft und leicht pampig zugleich.

Nach dem letzten Anstieg pausieren wir kurz, ich trinke meine letzten Wasserreste. „You are fantastic“, werde ich gelobt – finde ich ehrlich gesagt auch. Und ich bin überglücklich. Es war mein erstes Mal im Rennradsattel, ich hatte echt Schiss, ob ich das packe. Die Schaltung, der Linksverkehr, überhaupt… Doch ich habe es geschafft, durfte eine Wahnsinns-Landschaft kennenlernen und kann jetzt mit Stolz behauptet: Ich bin 100 Kilometer rund um Kapstadt geradelt.

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